4.1.3. Der Nachteil der Wissenschaft für das Leben
Nietzsche widmet sich dann dem wissenschaftlichen Anspruch der Erkenntnisgewinnung
um jeden Preis. Er stellt die Frage, ob denn Illusion und Unklarheit prinzipiell verwerflich
sind und der Erhellung bedürfen, ob nicht vielmehr das Geheimnis auch wesentlich zum
Leben dazugehöre - und seine Antwort lautet: "Alles Lebendige braucht um sich eine
Atmosphäre, einen geheimnisvollen Dunstkreis".
Hierbei denkt Nietzsche weniger an
das materielle Überleben als an die Kultur. Ein Genie kann nur solange lebendige
Wirkung ausstrahlen, wie es von jener Atmosphäre des Geheimnisses umgeben ist - die
vollständige wissenschaftliche Aufklärung seines Lebens und Schaffens würden es
trivialisieren und damit unfruchtbar machen. Die Wissenschaft strebt die Herrschaft über
das Leben an, doch damit würde sie das Leben reduzieren, denn ein derartig
beherrschtes Leben wäre weniger wert "als das ehemals nicht durch das Wissen,
sondern durch Instincte und kräftige Wahnbilder beherrschte Leben."
Nietzsches Ideal
ist jedoch auch nicht ein hemmungsloses Wüten blinder Instinkte, sondern die reife,
harmonische Persönlichkeit - gerade ihre Entwicklung soll aber vom staatlichen
Bildungsbetrieb verhindert werden, die Menschen sollen stattdessen "in der Fabrik der
allgemeinen Utilitäten arbeiten", weil eine reife Persönlichkeit "ein Luxus wäre, der 'dem
Arbeitsmarkte' eine Menge von Kraft entziehen würde".
Das Dasein wird vom Man zur
Uneigentlichkeit gezwungen, wie Heidegger hier formuliert hätte. Mittel dazu ist unter
anderem das Postulat der Wissenschaftlichkeit und die Erziehung in diesem Geiste.