0. Einleitung

0.1. Problemstellung und methodische Fragen

Die vorliegende Studie unternimmt den Versuch, die Philosophie Friedrich Nietzsches hinsichtlich erkenntnis- und wissenschaftstheoretischer Fragestellungen zu interpretieren. Dabei soll möglichst streng chronologisch vorgegangen werden, um die Entwicklungen in Nietzsches Denken verdeutlichen zu können - eine Vorgehensweise, die in der Nietzsche-Rezeption (abgesehen von Biographien) selten ist, mit der aber eine zuverlässigere Interpretation erreicht werden kann als mit dem häufigeren Verfahren, eine These zu Nietzsches Philosophie zu entwickeln und diese dann mit Zitaten zu belegen, die dem umfangreichen Gesamtwerk Nietzsches entnommen wurden, ohne ihren chronologischen Ort zu berücksichtigen. Ein zentrales Problem der Nietzsche-Forschung stellen die (vermeintlichen?) Widersprüche im Werk Nietzsches dar: Mit der chronologischen Lektüre wird hier die Hoffnung verbunden, zumindest einige dieser Widersprüche auflösen zu können. Das Frühwerk Nietzsche soll also zunächst betrachtet werden. Allgemein gilt hier der Text "Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne" als das früheste Werk Nietzsches, das für Fragen der Erkenntnis relevant ist; vorher, so heißt es, habe Nietzsche sich nur für Kunst und Metaphysik interessiert. Dabei gerät jedoch die Frage aus dem Blick, was denn jene Wende Nietzsches von der "Geburt der Tragödie" zu "Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne" ausgelöst haben könnte. Wenn Nietzsche in der "Geburt der Tragödie" wirklich anti-wissenschaftlich ist, so kann dies nicht von seinem erkenntnistheoretischen Denken getrennt werden, und deshalb ist bereits die "Geburt der Tragödie" für diese Fragestellung wichtig. Eine Interpretation dieser frühesten Veröffentlichung Nietzsches wird also am Anfang stehen, anschließend werden für die Problematik von Erkenntnis und Wissenschaft relevante Texte Nietzsches in ihrer chronologischen Abfolge behandelt. Auch wenn dabei gelegentlich schon spätere Werke in den Blick geraten, sollen immer die wechselhaften Entwicklungen bzw. die Kontinuität in Nietzsches Denken untersucht werden. Um den Rahmen dieser Studie nicht zu sprengen, muß dann die Interpretation von Texten aus "Menschliches, Allzumenschliches" den Abschluß bilden.


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